Offener Brief

Offener Brief vom 22.10.2024 an den ersten Bürgermeister der Freien und Hansestadt Hamburg Herrn Dr. Peter Tschentscher:

Sehr geehrter Herr Dr. Tschentscher,

mein Name ist Achim Uhl, ich bin Musiker, Akustik-Gitarrist und Initiator des Musiknetzwerks GreenOrange.

Die schwierige und herausfordernde Zeit im vergangenen Frühsommer habe ich genutzt, um beim Lesecafé im Stadtpark zusammen mit zwei Sängerinnen LIVE-Musik zu machen (siehe Bericht bei NOA4) - in Form von Straßenmusik, somit kostenlos und gegen eine kleine Hutspende bei Gefallen. Die Resonanz in der Bevölkerung war überwältigend, denn unsere Musik hat vielen Menschen für eine kurze Zeit Freude bereitet und ein Lächeln ins Gesicht gezaubert. Die Polizei bestätigte uns bei jedem ihrer zahllosen „Besuche“, dass wir die Corona-Regeln konsequent und vorbildlich einhalten. Netterweise stellte uns das Lesecafe für unsere Musik Strom zur Verfügung. Durch die positive Resonanz in der Bevölkerung und durch Anfragen anderer Musiker, auch dort spielen zu dürfen, entwickelte sich eine kulturelle Oase. Es entstand ein Treffpunkt der Entspannung, der positiven Energie und der Zuversicht.

Am Freitag den 31.07.2024 wurden dem Lesecafé von einem Mitarbeiter des Bezirksamtes jedoch untersagt, uns weiterhin Strom zu geben. Dies war leider der Beginn einer unglaublichen und desillusionierenden Odyssee:
Auf Anfrage beim Ordnungsamt erhielten wir die Auskunft, dass es laut einer Verordnung aus dem Jahr 1975 verboten ist, im Stadtpark „Lärm, insbesondere mit Plattenspielern und Tonbandgeräten zu machen“. Aufgrund dieser Verordnung würde unsere LIVE-Musik als Lärm definiert. Die Lautstärke sei dabei unerheblich. Bei Nichtbeachtung müssen wir mit einer Ordnungsstrafe von bis zu 50.000,- Euro rechnen (siehe auch Bericht im Wochenblatt).

Daraufhin habe ich eine Petition ins Leben gerufen und - ermutigt durch ein Telefonat mit der Pressesprecherin des Bezirksamtes Hamburg-Nord - einen Antrag auf Sondernutzung gestellt.

Dieser Antrag wurde abgelehnt. Und das, obwohl das Gesundheitsamt meine Veranstaltung bereits genehmigt hatte.

Unter “Abwägung möglichst aller Belange” sei man zu dem Ergebnis gelangt, dass die “derzeit vorliegenden Gegebenheiten keine Erlaubnis begründen”.

Angeführt würde eine (!!!) Beschwerde über Zitat: “Techno-Partys, welche ab Freitag stattfinden und erst am Sonntagmorgen enden.” Diese Beschwerde bezieht sich in keiner Weise auf live gespielte Musik in dezenter Lautstärke (unter Umständen, hat diese Person sogar unsere Petition unterschrieben!?). Dem gegenüber stehen die Belange von mittlerweile 1.939 Menschen (Stand 15.10.2024), welche die Petition (Zitate aus den Kommentaren siehe unten) unterschrieben haben und Musik am Lesecafé ausdrücklich wünschen.

Trotzdem wurde mein Antrag abgelehnt. Ein “Abwägen der Belange” der Menschen im Stadtpark kann ich nicht erkennen. Ebenso kann ich nicht nachvollziehen, dass laut eigener Aussage der Personen, welche meinen Antrag abgelehnt haben, weder die Fernsehberichte über unsere Aktion (Bericht 1 und Bericht 2), noch die besondere Lage vor Ort von Interesse waren. Wie kann so etwas sein? Sollte es etwa mal wieder so sein, dass nur kommerzielle und prestigeträchtige Veranstaltungen, wie z.B. seinerzeit das Konzert der Rolling Stones, als erhaltenswerte Kulturereignisse gelten?

Wir alle befinden uns in sehr herausfordernden Zeiten. Der Eine möchte in dieser Zeit keinen Fehler machen, was ich sehr gut nachvollziehen kann. Für den Anderen geht es jedoch ums nackte Überleben. Ich bin sehr enttäuscht, um nicht zu sagen zutiefst entsetzt, von der Vorgehensweise und vom starren Handeln des Bezirksamtes. Keinerlei Kompromissbereitschaft, kein Angebot für eine bürgerfreundliche Lösung. So werden Existenzen zerstört und Kultur in Hamburg wird unwiederbringlich sterben!!!

Sehr geehrter Herr Dr. Tschentscher, ich bitte Sie daher eindringlich um Gesprächsbereitschaft in dieser Angelegenheit, damit wir gemeinsam eine Lösung für Musiker in Hamburg finden. Eine Lösung - vielleicht auch abseits des Stadtparks, wir sind da sehr offen - welche das Überleben der Musikbranche sichert. Eine Lösung fernab von den anderen kostenpflichtigen Konzerten in Hamburg, welche der Bevölkerung Lebensfreude und Hoffnung bringt.

Mit freundlichen Grüßen

Achim Uhl

GreenOrange Musiknetzwerk
Achim Uhl
Laufgraben 18d
20146 Hamburg
+49 179 225 3399
[email protected]
www.greenorange.info

Eine kleine Auswahl der Zitate aus über 220 Kommentaren der Petition:

  • “Es gibt zur Zeit wenig Freude und Musiker leiden finanzielle Not. Sollen doch bitte die Musiker ihr Budget aufbessern. Und wir Hamburger haben mal die Chance unter freiem Himmel bei Live-Musik zu entspannen! Oder sollen wir uns stattdessen auch in die Schanze zum Cornern begeben?”
  • “Live-Musik erhöht die Lebensqualität sowohl bei der Zuhörerschaft als auch den Musikern und schafft Verbindungen und Wertschätzung.”
  • “Musik macht glücklich vor allem in diesen Zeiten, auch die Musiker müssen besonders unterstützt werden in Zeiten von Corona!!!!”
  • “Weil ich die Aktion mega finde und es nicht richtig ist eine solche Aktion zu verhindern, die Leuten Freude bereitet, nur weil man eine niedrige Toleranzgrenze hat. Orte wie an denen wo die Musik gespielt wird, sind öffentliche Plätze und sollten für alle Menschen zugänglich sein und dort sollten die Menschen auch tun sollten was sie wollen”
  • “Weil wir Musik in dieser schlimmen Zeit brauchen,damit es uns gut geht.”
  • “Ich verstehe nicht, warum dass ordnungsamt diese schräge Massnahme durchsetzen will. Der das lesecafe nicht mit dem hin ihm bezahlten Strom machen. Was es mag? Oder ist das zu anarchisch? Oder sollen Künstler nicht unterstützt werden?”
  • “Es ist einfach nicht zu verstehen. Nach dem katastrophalen kulturellen Kahlschlag, den die Corona-Krise hinterlässt, sollte man jede Initiative fördern, jedes zarte Pflänzchen Kultur schützen und pflegen, anstatt ohne Sinn und Verstand irgendwelche Regeln zu erfüllen, egal ob sie passen oder nicht. Wo könnte man besser den Sicherheitsabstand einhalten, als auf einer großen Wiese im Stadtpark? Die Menschen sind sowieso da, sitzen im Lesecafé oder pickniken… was ist schlecht daran, durch schöne Musik etwas gute Laune und gute Energie zu verbreiten? Was ist schlecht daran, wenn Künstler sich in der Krise eine ungefährliche Nische suchen, um zu überleben, wenn Künstler und Gastronomen zusammenhalten, Netzwerke bilden, sich gegenseitig unterstützen? Was bitte ist falsch daran, wenn das Lesecafé den Künstlern den Strom zur Verfügung stellt, und dadurch vielleicht ein paar Tassen Kaffee mehr verkauft? Wo bitte liegt der Sinn darin, die Initiative der Menschen tot zu reglementieren, in Zeiten, in diese denen sich etwas einfallen lassen müssen, weil der Staat nicht alle unterstützen kann? Meine Güte! Seid doch froh, wenn Eure Bürger sich selbst und gegenseitig aus der Scheiße ziehen, anstatt zum Sozalamt zu rennen!”
  • “Musik am Lesecafe ist systemrelevant”
  • “Gerade in diesen Coronazeiten ist es enorm wichtig, Künstlern die Gelegenheit von Auftritten zu geben, die outdoor stattfinden und damit für alle gefahrlos zu realisieren sind. Alles andere ist Anlass zu Unverständnis gegenüber behördlicher Willkür - und dabei ist es doch eher wichtig, Regeln nachvollziehbar und transparent erscheinen zu lassen.”
  • “Weil Musik die Herzen öffnet und der Seele gut tut”

… und viele weitere dieser Art unter http://www.openpetition.de/greenorange

Kontaktdaten von Herrn Dr. Tschentscher für mögliche „Rückfragen“ bzw. „Anregungen“:

https://www.hamburg.de/senatskanzlei/kontakt/204160/buergermeister/

Folgenden Gebührenbescheid erhielt ich, obwohl aus der zitierten Gebührenordnung folgendes hervorgeht:

  • Anlage 4, Nr.3.1 Ablehnung eines Antrages, für dessen Erteilung Gebühren erhoben würden… 53,60 Euro.
  • §2 (1) Keine Verwaltungs- und Benutzungsgebühren werden erhoben für Sondernutzungen … durch … Straßenmusik.

Mein fristgerechter Widerspruch gegen den Gebührenbescheid:

Die Reaktion auf meinen Widerspruch:

Eine Mahnung mit zusätzlichen Gebühren.